Hintergrund

Die GesetzgeberInnen erwarten, dass sich Mieterhöhungen nach energetischen Maßnahmen mit der Ersparnis durch den reduzierten Energieverbrauch ausgleichen. Sie gehen also davon aus, dass sich die Klimaneutralität unseres Mietwohnbestands grundsätzlich warmmietenneutral herstellen lässt.

Diese Grundannahme wird von der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) [1], immer wieder betont:

Die energetische Sanierung von Mehrfamilienhäusern rechnet sich – sowohl für Vermieter als auch für Mieter. […] Das heißt: Der Vermieter kann die Investitionskosten rentabel auf die Kaltmiete umlegen. Der Mieter profitiert gleichzeitig von geringeren Heizkosten, so dass die Warmmiete – also das, was der Mieter letztendlich zahlt – nicht steigt. Voraussetzung hierfür sind die Kopplung der energetischen Maßnahmen mit sowieso anstehenden Modernisierungs- und Instandhaltungsarbeiten sowie eine gute Planung, Ausführung und strategische Bewertung des Gebäudes.“ (dena 2010, S. 14)

Und 2015 wiederholt sie:

Wenn sowieso saniert wird, dann möglichst energieeffizient. Dann zahlen Sie als Mieter weniger Heizkosten und können so die gestiegene Miete ausgleichen.“ (dena 2015, S. 19)

Mietervereine berichten jedoch, dass in der Praxis das Gegenteil der Fall ist:

2010 titelt etwa der Mieterverein zu Hamburg von 1890 r. V. sein MieterJournal mit: „Mietervertreibung durch energetische Sanierung“ (vgl. Stahl 2004).

2017 kommt der Berliner Mieterverein e.V. zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Erhöhung der Kaltmiete nach der Ausführung energetischer Maßnahmen i.H.v. 2,44 €/m² einer rechnerisch ermittelten, monatlichen Einsparung infolge reduzierter Heizkosten i.H.v. 0,23 €/m² gegenüberstehe. Zudem verlangten die VermieterInnen nach energetischen Maßnahmen regelmäßig weiterhin die alten Vorauszahlungsbeträge (vgl. Wild 2017, S. 15).

Was also ist gemeint mit der Kopplung energetischer Maßnahmen an sowieso anstehende Maßnahmen? Und welche Maßnahmen stehen sowieso an?

Diese von der dena wiederholte Bedingung, unter der energetische Maßnahmen für beide Mietvertragsparteien wirtschaftlich seien, geht auf die Energieeinsparverordnung (EnEV) zurück. Sie koppele ihre energetischen Anforderungen an Außenbauteile an ohnehin umfassend erforderliche Instandsetzungsmaßnahmen (vgl. IWU 2009, S. 9).

Instandsetzungsmaßnahmen dienen aus mietrechtlicher Sicht dem Erhalt der Mietsache in einem „zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand“ [2]. Sie sind gem. § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB die Hauptpflicht der VermieterInnen und entsprechend aus den laufenden Mieteinnahmen zu finanzieren. Instandsetzungen berechtigen nicht zu einer Mieterhöhung!Hauptpflicht der MieterInnen ist es demgegenüber gem. § 535 Abs. 2 BGB „die vereinbarte Miete zu entrichten.“ [3]

So sieht es auch der zweite Absatz des Rechts auf Mieterhöhung nach Modernisierung vor:

Kosten, die für Erhaltungsmaßnahmen erforderlich gewesen wären, gehören nicht zu den aufgewendeten Kosten nach Absatz 1; sie sind, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln.“ [4]

Diese Schätzung wird in den theoretischen Grundlagenstudien zur Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen – etwa der dena – auf eine Art vorgenommen, die in der Praxis keinen Bestand haben kann: mit dem Kopplungsprinzip.

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Das Kopplungsprinzip

[Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus der Grundlagenarbeit des funktionalen Kostensplittings (David 2019)]

Schon 2010 erklärt die dena, man müsse die Kosten, welche im Falle umfangreicher Modernisierungen entstehen, differenziert betrachten. Es seien die Vollkosten der Maßnahmen zunächst in Modernisierungskosten für wohnwertverbessernde Maßnahmen und Vollkosten der Sanierung zu unterteilen. Die Sanierungskosten wiederum seien zu splitten in Instandhaltungskosten und Instandsetzungskosten sowie in energiebedingte Modernisierungskosten bzw. energiebedingte Mehrkosten. Denn lediglich die Modernisierungskosten und die energiebedingten Modernisierungskosten berechtigen zu einer Mieterhöhung gem. § 559 Abs. 1 BGB (vgl. dena 2010, S. 12). 

Zugunsten einer fundierten Zuordnung der Kosten in diese Gruppen greift die dena auf eine umfangreiche Kostenauswertung des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) zurück (vgl. dena 2010, S. 12). Dieses soll im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR) Eingangsdaten für künftige Wirtschaftlichkeitsberechnungen mit dem Anforderungsniveau einer neuen, für das Jahr 2012 vorgesehenen EnEV liefern. Ziel sei eine validierte „[…] Datenbank für energetisch begründete Baukostenanteile.“ (IWU 2009, I) Zu diesem Zweck gliedert das IWU Vollkosten aus Kostenfeststellungen realer, energetischer Modernisierungsprojekte in die Kostengruppen Bauwerk und Technische Anlagen und diese jeweils in einzelne Kostenpositionen. Die einzelnen Positionen werden dann zugeordnet: entweder in die Gruppe der Kosten, die im Rahmen einer Instandhaltung entstanden wären, oder in die Gruppe der Kosten für zusätzliche, energiesparende Maßnahmen (energiebedingte Mehrkosten) (vgl. IWU 2009, S. 5).

Im Falle des Wärmedämmverbundsystems werden dabei die Kosten für ein WDVS mit einer Dämmstärke von 15 cm der Alternative „umfangreiche Putzsanierung“ gegenübergestellt. Leistungen bzw. Positionen, die im Rahmen der Putzsanierung ausgeführt würden, werden in die Kategorie der „ohnehin erforderlichen Maßnahmen“ und die übrigen in die der „zusätzlichen Maßnahmen für das WDVS“ sortiert (vgl. IWU 2009, S. 7). 

Bei Vollkosten in Höhe von 125 €/m² (brutto) beträgt nach dieser Zuordnung der Kostenanteil für die „zusätzlichen Maßnahmen für das WDVS“ 50 €/m² (vgl. IWU 2009, S. 8).5 Darin enthalten sind die Positionen „Sockel & Fassade & Fensterleibungen – Sockelschiene, Dämmung, Montageplatten, Verdübelung, Dachüberstände und Ortgangbleche“ mit 32 %, „Fassade – Brandschutzausbildung“ mit 2 % und „Fensterbänke – Abschlagen, systemgerechte setzen“ mit 6 % (vgl. IWU 2009, S. 8). [5]

Im Falle der Dämmung der obersten, nicht begehbaren Geschossdecke beispielsweise kommt die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass an diesen Bauteilen in der Regel keine Instandsetzungen erforderlich werden. Entsprechend seien „[…] die gesamten Kosten der Maßnahmen als energiebedingte Mehrkosten anzusetzen.“ (IWU 2009, S. 20)

[…]

D.h. die Anwendung dieses sog. Kopplungsprinzips auf die Kosten einer nachträglichen, äußeren Wärmedämmung, reduziert die zu einer Mieterhöhung berechtigenden, aufgewendeten Modernisierungskosten von 125 €/m² (= 100%) auf 50 €/m² bzw. auf 40 %. Andersherum ausgedrückt reduziert die Anwendung des Kopplungsprinzips die gesetzlich vorgesehene Umlagequote der Gesamtkosten dieser Maßnahme i.H.v. 8 % um 60 % auf 3,2%.

Im Falle einer Dämmung der obersten Geschossdecke wirkt sich die Anwendung des Kopplungsprinzips dagegen nicht auf die Höhe der Mieterhöhung nach Modernisierung aus.[6] 
Die Bedeutung des § 559 Abs. 2 BGB bzw. des Kopplungsprinzips bei der Analyse der Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen für beide Mietvertragsparteien wird deutlich.

Einer empirischen Kurzstudie des Berliner Mietervereins e.V. aus 2017 zufolge, begrenzt sich der Anwendungsbereich des Kopplungsprinzips jedoch weitgehend auf theoretische Wirtschaftlichkeitsanalysen. Eine Prüfung von 200 Modernisierungsankündigungen aus eigenen Beratungsfällen zeige, dass in rund 37 % der Fälle gar kein Abzug für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen gewährt wurde. In den verbleibenden Fällen liege der durchschnittliche Abzug bei 33,48 % der Gesamtinvestition (vgl. Wild 2017, S. 9).

Das IWU stellt ebenfalls schon 2013 fest, dass Medien-Berichte, welche die Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen anzweifeln, im Wesentlichen auf Gegenüberstellungen von Vollkosten energetischer Gebäudesanierungen den künftig eingesparten Energiekosten beruhten. Da die EnEV jedoch lediglich bei ohnehin erfolgenden Sanierungsmaßnahmen zur Verbesserung des Wärmeschutzes verpflichte, dürften aus Sicht des Instituts auch in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen nur die energiebedingten Mehrkosten eingehen (vgl. IWU 2013, S. 32).

2017 weist auch das BBSR darauf hin, dass sich zusätzliche Dämmmaßnahmen im Zuge turnusmäßiger Sanierungsarbeiten in der Regel sehr wirtschaftlich umsetzten ließen, „[…] da die sogenannten Sowieso-Kosten den überwiegenden Teil der Investition bereits beinhalten […].“ (BBSR 2017, S. 7) Doch auch in der Studie, welche Grundlage dieser Aussage ist, wird deutlich darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung der energiebedingten Mehrkosten von den Sowieso-Kosten je nach konkretem Einzelfall diverse Fragen aufwerfe (vgl. Sprengard, Treml und Holm 2013, S. 133). [Ende des Textauszugs, vgl. David 2019, S. 5-8]

Gemeint sind damit Fragen der Baupraxis. Denn hier ist für eine solide Baukostenermittlung immer zu klären, welche konkreten Baumaßnahmen in welchem genauen Umfang ausgeführt werden sollen. D.h. im Falle der zu schätzenden erforderlichen Erhaltungskosten stellt sich stets die Frage: Wann sind welche Maßnahmen zum Erhalt des vertragsgemäßen Gebrauchs tatsächlich erforderlich? Und diese Frage wird unter den Gegebenheiten eines laufenden Mietvertrags von den beiden Vertragsparteien unterschiedlich verstanden und entsprechend unterschiedlich beantwortet. Infolge unscharfer Definitionen der Begrifflichkeiten des Rechts auf Mieterhöhung nach Modernisierung ist es auch für Sachverständige im Grunde nicht möglich fundierte Auskunft zu geben (vgl. David 2019, S. 59- 61 und 83-84). Mögliche Antworten können zudem bei Modernisierungsprojekten nie anhand finaler Abrechnungen geprüft werden, da ja die energetischen Maßnahmen – nicht aber die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen – tatsächlich ausgeführt werden.

Um die Beantwortung dieser Fragen in der Praxis, einzelfallbezogen und sachgerecht zu vereinfachen und zugleich nachvollziehbarer zu gestalten, wurde das funktionale Kostensplitting auf Basis theoretischer und empirischer Untersuchungen des Rechts auf Mieterhöhung nach Modernisierung (§559 BGB) und seiner Realität als praxisgeeignetes Äquivalent zum Kopplungsprinzip entwickelt.

Wie funktioniert es?


[1] Die dena nennt sich selbst auch Agentur für angewandte Energiewende und sieht ihre Mission in einem Beitrag zum Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung: https://www.dena.de/ueber-die-dena/mission-statement/, zuletzt aufgerufen am 08.11.2019

[2] vgl. https://dejure.org/gesetze/BGB/535.html, zuletzt aufgerufen am 13.11.2019

[3] ebda.

[4] vgl. https://dejure.org/gesetze/BGB/559.html, zuletzt aufgerufen am 13.11.2019

[5] Die Position „Grundputz und Armierung“ sei dabei nicht eindeutig zuzuordnen gewesen, da die Kosten hierfür in der Altbausanierung stark schwanken und häufig teurer seien, als der armierte Grundputz für ein WDVS. Die Kosten würden sich jedoch in einer ersten Näherung ausgleichen (vgl. IWU 2009, S. 7). 

[6] In der finalen Publikation des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) basierend auf den Endergebnissen der IWU-Untersuchung weichen die Aussagen hinsichtlich der Kostenanteile der Maßnahmen leicht von der Vorabveröffentlichung ab. Die Gesamtkosten für ein 15 cm WDVS beispielsweise betragen 123 €/m² und davon seien 51 €/m² Kosten, die ausschließlich auf des WDVS zurückzuführen seien (= 41,5 %) (vgl. BMVBS 2012, S. 20). Im Falle der obersten Geschossdecke werden wie schon 2009 keine ohnehin erforderlichen Maßnahmen identifiziert (vgl. BMVBS 2012, S. 36). 


Literatur

BBSR (2017): Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Dämmmaßnahmen an Gebäudefassaden. Eine Zusammenfassung derzeit aktueller Diskussionspunkte. BBSR-Analysen Kompakt 11/2017, Bonn, August 2017. Autor: Asam, Claus. Online verfügbar unter https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/AnalysenKompakt/2017/ak-11-2017-dl.pdf;jsessionid=F5193B331DAB528C22FC6E9D5036F573.live21303?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt geprüft am 13.12.2019.

David, Kirsten (2019): Funktionales Kostensplitting zur Ermittlung von Mieterhöhungen nach energetischen Maßnahmen – Eine Handlungsempfehlung auf Basis theoretischer und empirischer Untersuchungen. Hamburg, November 2019. Online verfügbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:1373-opus-5085, zuletzt geprüft am 13.12.2019.

dena (Hrsg.) (2010): Deutsche Energie-Agentur GmbH: dena Sanierungsstudie. Teil 1: Wirtschaftlichkeit energetischer Modernisierung im Mietwohnungsbestand. Begleitforschung zum dena-Projekt „Niedrigenergiehaus im Bestand“. Autoren: Discher, Henning (dena); Hinz, Eberhard (IWU); Enseling, Andreas (IWU); Leitung: Pillen, Nicole; (dena). Berlin, Dezember 2010. Online verfügbar unter https://www.dena.de/fileadmin/dena/Dokumente/Pdf/9122_dena-Sanierungsstudie_Teil_1.pdf, zuletzt geprüft am 13.12.2019.

dena (Hrsg.) (2015): Deutsche Energie-Agentur GmbH: Energetische Sanierung: Fakten statt Mythen. Berlin, Dezember 2015. Online verfügbar unter https://www.dena.de/fileadmin/dena/Dokumente/Pdf/2294_Energetische_Sanierung_Fakten_Mythen.pdf, zuletzt geprüft am 13.12.2019.

IWU (Hrsg.) (2009): Institut Wohnen und Umwelt: Untersuchung zur weiteren Verschärfung der energetischen Anforderungen an Wohngebäude mit der EnEV 2012. Teil 1 – Kosten energierelevanter Bau- und Anlagenteile in der energetischen Modernisierung von Altbauten. 3. Zwischenbericht. Darmstadt, Dezember 2009. Online verfügbar unter https://www.iwu.de/fileadmin/user_upload/dateien/energie/klima_altbau/09_12_17_vorläufiger_Bericht_IWU_-_Teil_1_Altbau.pdf, zuletzt geprüft am 13.11.2019

IWU (Hrsg.) (2013): Institut Wohnen und Umwelt: Akteursbezogene Wirtschaftlichkeitsberechnungen von Energieeffizienzmaßnahmen im Bestand. Berechnungen mit dem Vollständigen Finanzplan. Darmstadt, Juli 2013. Autoren: Enseling, Andreas; Hinz, Eberhardt; Vaché, Martin. Online verfügbar unter https://www.iwu.de/fileadmin/user_upload/dateien/handlungslogiken/prj/IWU_2014_06319012__14002_Akteursbezogene_Wirtschaftlichkeit.pdf, zuletzt geprüft am 13.12.2019.

Sprengard, Christoph; Treml, Sebastian; Holm, Andreas (2013): Technologien und Techniken zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden durch Wärmedämmstoffe. Metastudie Wärmedämmstoffe – Produkte – Anwendungen – Innovationen. Hrsg. v. Forschungsinstitut für Wärmeschutz e.V. München (FIW München). Gräfelfing. (Bericht FO, 12/12).

Stahl, Volker (2004): Mietervertreibung durch energetische Sanierung. In: MieterJournal (4/2010), S. 6–8. Hrsg. v. Mieterverein zu Hamburg von 1890 r.V. Hamburg. Online verfügbar unter https://www.mieterverein-hamburg.de/export/sites/default/.content/dokumente/mieterjournal/mieterjournal-2010-4.pdf, zuletzt geprüft am 13.12.2019.

Wild, Reiner (2017): Mieterhöhungen nach Modernisierung und Energieeinsparung. Empirische Kurzstudie über 200 Maßnahmen im Berliner Mietwohngebäudebestand. Hrsg. v. Berliner Mieterverein e.V. Berlin. Online verfügbar unter http://www.berliner-mieterverein.de/downloads/pm-1725-modernisierung-bmv-kurzstudie.pdf, zuletzt geprüft am 13.12.2019.